Ich bin der Heinrich Hofer. Der Hanswurst. Der Trottel. Der Dorfdepp. Und ich war schon tot, als ich geboren wurde. Dabei hatte es gar nicht so übel angefangen. Ich bin nämlich an einem Sonntag geboren. Einem Sonntag im August, der mich und die letzte Sommerhitze ausbrütete. Das war aber auch schon alles. Vermutlich habe ich das bereits geahnt, als mich meine Mutter in die Welt zu pressen versuchte. Denn ich wehrte mich so gut ich konnte. Und meine Mutter hatte viel Mühe damit. Als ich schließlich doch herausschlüpfte, war ich tot. Jedenfalls glaubte das meine Mutter. Und sie war recht traurig, wo doch nun die ganze Plagerei umsonst gewesen war. Selbst mein Vater muss betroffen dreingeschaut haben, will man den Aussagen meiner Omi Glauben schenken.
„Der Teufel scheißt immer auf denselben Haufen“, soll mein Vater geknurrt haben. Erzählte mir meine Omi später. Aber tief in mir drinnen, habe ich wohl gespürt, dass von irgendwoher viel Unerfreuliches auf den Lebensweg meines Vaters gefallen sein musste. Und ich mit zu diesem Unerfreulichen gehörte.
Die Augusthitze lastete schwer auf dem niederbayrischen Dorf. Mein ganzes Leben sollte mich die Sommerhitze an diese unguten Momente erinnern. Es herrschte jene pralle Stille, die alles, was lebt, zu Boden drückt. Die Katzen verkrochen sich unter Bänken und Maschinen. Wampo, unser Hofhund, vergaß sein Bellen und igelte sich in seiner Hütte ein. Selbst die Bäume duckten sich unter die kochende Stille. Das Vieh auf den baumlosen Weiden litt am meisten. Die weidenden Schweine pressten sich nah an die Stallwand. Die Kühe versuchten sich vergeblich so zueinander zu stellen, dass sie aneinander Schatten gäben.
Lapping ist die größte von drei gottverlassenen niederbayrischen Ortschaften, die sich in eine ausladende Donauschleife schmiegen. Eine schmale Straße durchschneidet riesige Weizenfelder, führt westlich nach Wimling und östlich nach Niederkattlhofen, dem Gemeindesitz der drei Dörfer. In unsere drei Dörfer hineinzufinden ist einfach. Wieder herauszukommen beinahe unmöglich. In unregelmäßigen Abständen fallen die Jugendlichen der Dörfer übereinander her. Verprügeln sich so lange, bis ein Dorf die Oberhand gewinnt. Der so entstandene Burgfriede ist jedoch trügerisch. Schon nach kurzer Zeit fängt es in den unterdrückten Dörfern wieder zu gären an. Und sie fallen neuerlich übereinander her. Das war immer so. Und wird immer so bleiben.
Da jedes unserer drei Dörfer einen anderen Dialekt spricht, gibt es keine wirkliche Verständigung zwischen den Wimlingern und Niederkattlhofenern. Und zwischen ihnen und den Lappingern, die sich fast ausschließlich mit Blök- und Knurrlauten begegnen, schon gar nicht. Die Leute unserer drei Dörfer haben sich ohnehin nichts zu sagen. Gehen sich aus dem Weg, wo sie nur können. Nur sonntags, in der Kirche von Niederkattlhofen, stehen sie heuchlerisch dem Altar zugewandt. Starren auf den Mund vom Pfarrer Wandlinger. Aus dem Worte kommen, die sie nicht verstehen. Und auch gar nicht verstehen wollen.
Ich habe es von Anfang an gespürt. Man hat mich, wie einen Baum, an einen Ort gepflanzt, an dem er nicht gedeihen kann. Natürlich habe ich es versucht, meinen Vorteil zu nutzen, mich von dem mir zugedachten Ort wegbewegen zu können. Also mühte ich mich ab, meine Schritte mit der unter mir rotierenden Erde in Einklang zu bringen.
(der Roman „Heimat“ erscheint demnächst…)