R. Daniel Roth

Lebenstraum

Wir alle träumen. Mehr oder weniger.

Viele Menschen träumen nur schlafend. Einigen genügt das nicht. Oder es genügt ihren Träumen nicht. Sie weben sie mit hinein in ihre Tage. Und weil diese Menschen als Tagträumer belächelt werden, verbannen sie ihre in den Tag keimenden Träume wieder zurück in das amorphe Dunkel ihrer Nächte.

Ich weiß nicht, ob man Mut braucht, um durchlässig zu werden für das, was sich aus dem Inneren chiffriert ins Bewusstsein drängt. Um dort gelesen oder gar erschaffen zu werden.

Ich weiß auch nicht, ob es immer eine Sehnsucht ist, die, einmal aus den Labyrinthen der Traumwelt entziffert, in unser Leben eindringt und sich in ihm fordernd und übermächtig ausbreitet.

Ich weiß nur, um einen Traum in den Tag hinein zu träumen, genügt es, ein Tagträumer zu sein. Das ist nicht wenig. Und den meisten fehlt der Mut dazu. Sie nehmen ihn nicht ernst, ihren Traum. Versperren ihm den Zugang zu ihren Tagen

Diese Menschen träumen nicht eigentlich. Ihre Träume träumen sich selbst. Blubbern hoch aus den Tiefen ihres eigenen Traumfundus. Und dem der gesamten Menschheit. Und führen ihr Eigenleben in unseren Nächten. Formen sich zu Bildern und Symbolen, düsteren Wolken und heiteren Düften. Verketten sich zu bizarren Anekdoten. Verquirlen sich ineinander.

Und verlassen uns wieder, wenn wir erwachen.

Oft bleibt nicht einmal ein Funken Erinnerung an sie in uns zurück.

Tief in uns ahnen wir vielleicht, dass diese Träume Einlass in unsere Tagwelt begehren. Und wenn wir sie abweisen, belasten sie uns mit ihrer in Formlosigkeit abgeschobenen Schwere. Oder verstecken sich vor unserem inneren Zensor. Um dennoch in uns weiterzuleben. Sie schwelen jenseits unseres Bewusstseins in uns weiter. Sie lagern sich in uns ein. Und wir tragen sie unerkannt in uns herum.

Doch manchmal lebt ein Traum so unvermittelt in unseren Tag hinein, dass er bereits Gestalt annimmt, noch ehe wir ihn abwehren und in die Traumwelt zurückzuschicken vermögen. So ein Traum entsteht aus einer tief in uns eingesunkenen Sehnsucht. Die ihn ans Licht zerrt. Und um ihn aus der Traumwelt in die Tagwelt umzupflanzen, genügt es nicht, weiter zu träumen. Ein solcher Traum will erwachen. Verwirklicht werden. Er fordert seinen Platz in unserem Leben.

Er wird zum Lebenstraum.

Ich weiß nicht, ob es für manche Menschen möglich ist, dem alles vereinnahmenden Drängen ihres Lebenstraums zu widerstehen.

Ich weiß nur, ich habe es nicht geschafft.

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